Wenn unsere deutschen EU Abgeordneten dem Verbot von Russia Today fast unisono (inklusive den Abgeordneten der sog. Linken) zustimmten, wen wundert es dann, dass ein fanatisierter Islamist sich anmaßt, seinerseits Hand anzulegen und eine ihm verhasste Stimme zum Schweigen zu bringen. Die Lippenbekenntnisse, die auf das Attentat gegen Salman Rushdie seitens der europäischen Politiker zu hören waren, sprachen Bände. In der Satirezeitschrift Charlie Hebdo veröffentlichte RISS, selber Opfer eines islamistischen Anschlags, dazu einen Leitartikel, den wir hier in unserer eigenen Übersetzung wiedergeben:
"Das Attentat auf Salman Rushdie hat den August, so schön er zu sein schien, gestört. Waldbrände, Hitzewellen, Wasserknappheit, steigende Rohstoffpreise und sinkende Kaufkraft hätten die einzigen nennenswerten Sorgen sein sollen,
die uns bewegen. Man könnte fast vergessen, dass die materiellen Fragen, die unser tägliches Leben und vielleicht sogar unsere Existenz bestimmen, nur dann von Bedeutung sind, wenn man das Ziel hat, in Freiheit zu leben.
Im Gegensatz zu dem, was der gesunde Menschenverstand und ein gewisser Populismus uns glauben machen wollen, sind materielle Fragen kein Endpunkt, sondern nur eine Etappe. Man muss sich angemessen ernähren und wohnen können, um frei denken zu können.
Die Verteidigung der Freiheit, etwas zu schaffen und zu schreiben, ist kein Luxus der Wohlhabenden, wie man uns oft weismachen will, sondern ganz einfach das Ziel jeder Politik, und die materiellen Probleme, die mit dem Lebensstandard zusammenhängen,
sind nur Hindernisse auf dem Weg zu diesem Ziel. Der Angriff auf Salman Rushdie sollte daher alle Verfechter einer gerechteren Gesellschaft empören.
Die ersten Reaktionen nach dieser Tragödie waren die einiger Schriftsteller, denn durch das Leben von Salman Rushdie wurde einmal mehr ihre Freiheit bedroht.
Man hat jedoch das Gefühl, dass sie nicht so einhellig waren, wie es den Anschein hatte. Es gab einige empörte Politiker, aber nur wenige religiöse Autoritäten. Die Artikel in der iranischen Presse, in denen der Attentäter beglückwünscht wurde,
dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass nur wenige sunnitische Religionsführer und geistliche Führer anderer Religionen den Anschlag verurteilten. Denn Blasphemie wird, wie jede andere Form der Infragestellung religiöser Texte, von keiner Religion jemals akzeptiert.
Zwischen ihnen besteht eine stille Komplizenschaft, die sich damit zufrieden gibt, dass diejenigen, die sich ihrer Macht widersetzen, durch Einschüchterung, Stigmatisierung und sogar Mord aus dem Weg geräumt werden.
Jeder wird den Gewaltakt, dem Salman Rushdie zum Opfer gefallen ist, anprangern, so wie man es tun würde, wenn man erfährt, dass eine Großmutter auf der Straße von einem Schläger erstochen wurde.
Doch Salman Rushdie ist keine kleine Großmutter, und sein Angreifer
ist kein Krimineller, der ihm die Handtasche stehlen wollte. Es war ein Akt religiöser Intoleranz, dem er zum Opfer fiel, und ob es einigen Leuten gefällt oder nicht, das lässt uns wieder die Nase in das Thema stecken, vor dem alle ausweichen und wegschauen.
Religiöse Intoleranz hat in der Welt nicht an Intensität verloren, nur weil große Anschläge wie die vom 13. November in Paris immer seltener werden. Die Arroganz der Religionen und ihr Anspruch, die Welt zu regieren, haben nie aufgehört, zuzunehmenn, umso mehr,
als die weltliche Macht in diesem Jahrhundert oft sehr zögerlich erscheint. Im Namen eines sogenannten Respekts vor der Religion, wobei es keine Rechtfertigung dafür gibt, sie über alle anderen Äußerungsformen des menschlichen Geistes zu stellen, erwecken unsere demokratischen
Gesellschaften den Eindruck, dass sie vor jeder noch so kleinen Forderung religiöser Natur kuschen. Dieses Klima der Unterwürfigkeit gegenüber der Religion kann Eiferer und Mystiker nur dazu ermutigen, jede abweichende Stimme mit einem Messerstich zum Schweigen zu bringen.
Es sind die Entschlossensten, die gewinnen werden. Und im Moment sind die Entschlossensten im Lager der Religiösen zu finden, weit weniger im Lager der Demokraten, Künstler und Schriftsteller.
Noch am Abend der Tragödie zeigten sich die ersten Risse in dieser schönen Einmütigkeit, als einige Kommentatoren in einem Nachrichtensender sich über den Anschlag empörten, weil Salman Rushdies Buch "Die satanischen Verse" gar keine Blasphemie enthalte. Was unterstellt,
dass, wenn dies der Fall wäre, man verstehen könnte, wenn ein Gläubiger sich berechtigt fühlte, den Autor von Schriften, die ihn verletzt hätten, abzustechen.
Solange es Menschen gibt, die diese abscheuliche Zweideutigkeit aufrechterhalten, werden Fanatiker im Besonderen und Religionen im Allgemeinen immer glauben, sie stünden über dem Gesetz. Nein, religiöse und gläubige Menschen stehen nicht über denjenigen, die ihre
Weltanschauung nicht teilen. Nein, wir schulden ihnen absolut nichts, vor allem nicht den Respekt vor ihren vagen Überzeugungen und abstrusen Ritualen, da diese, abgesehen gegenüber den Gläubigen, die sich dafür entschieden haben, sich ihnen anzuschließen,
nicht dazu berufen sind, sie dem Rest der Gesellschaft aufzuzwingen.
Es steht uns also frei, über Religionen und ihre Überzeugungen zu schreiben, zu zeichnen und zu sagen, was wir wollen, ob es denjenigen, die sie praktizieren, gefällt oder nicht. Dies ist die einzige
Position, die Respekt verdient".